Eine Marke wird geboren

Die Stevensbrüder Harry, George, Jack und Joe waren die Söhne des an Technik sehr interessierten Grobschmieds Joe, der in Wednesfield bei Wolverhampton in England lebte und arbeitete. Der fünfte Sohn Billy gilt als schwarzes Schaf der Familie, da er mit Motorrädern nichts am Hut hatte.
Vater Joe erreichte durch sein genaues Arbeiten einen guten Ruf als Techniker für sich und sein Geschäft, das sich Stevens Schraubenfabrik nannte. Er sah die Entwicklungsmöglichkeiten von Verbrennungsmotoren voraus und stellte sie sich als Antrieb für Holzsägen und Wasserpumpen vor.

Die Tourist Trophy auf der Isle of Man war wie für andere Hersteller auch für AJS enorm wichtig.
Die Tourist Trophy auf der Isle of Man war wie für andere Hersteller auch für AJS enorm wichtig.

In den neunziger Jahren des vorvergangenen Jahrhunderts gab es aber solche Motoren nicht so einfach zu kaufen. Die meisten der Pionierfabriken bauten ihre Motoren aus importierten Teilen der französischen Marke De Dion zusammen.

Erst ab 1897 begannen mehrere amerikanische Firmen mit dem Bau von Einbaumotoren. Joe konnte sich schließlich einen Einzylinder-Viertakter der Firma Mitchell besorgen.

Billy Jones mit der Junior TT Maschine 1914
Billy Jones mit der Junior TT Maschine 1914

Wahrscheinlich war es dann das Werner–Motorrad, das die Stevens zum Bau einer eigenen Maschine inspirierte. Es ist überliefert, dass 1897 das erste Stevens–Motorrad vorgestellt wurde. Es entsprach stark dem Werner-Vorbild, also mit am Steuerkopf eines Fahrrades angebrachten Motor und flachem Benzintank, der unter dem Längsrohr aufgehängt war. Jedoch trieb die Stevens – anders als die frontangetriebene Werner – das Hinterrad mittels einer zwischengeschalteten Riemenscheibe an.

Während des nächsten Jahrzehnts beschäftigte sich die „Stevens-Screw Company“ mit der Motorenherstellung, beginnend mit einer verbesserten Version des Mitchellmotors. Unter der Führung des Seniors stellten die vier Söhne die Motoren her. Bald erreichten ihre Maschinen einen zuverlässigen Ruf, der ihre Erzeugnisse auch für Werner und Wolf, zwei der bekanntesten Zweiradhersteller der Jahrhundertwende interessant machte.

Diese frühe Stevens besaß automatische Ventile, Glührohrzündung und einen Oberflächenvergaser. Während der Ära von König Edward schufen sie verschiedene Motoren, einschließlich eines Boxers für Wolf und eines weitwinkligen V-Twins für Clyno. Auch stiegen sie in das Rahmengeschäft ein und sicherten sich eine Reihe von Verträgen mit anderen Produzenten.

Cyril Williams am Ziel der TT 1914
Cyril Williams am Ziel der TT 1914

1905 konstruierten sie einen wassergekühlten Boxer, der in ein oder zwei Dreiräder dieser Zeit eingebaut wurde. 1910 gingen sie zu mechanischen gesteuerten Ventilen über und begannen sich ernsthaft mit dem Traum von 1897 zu beschäftigen: der Herstellung eines eigenen Motorrades.

Jack war ein Motorsportfanatiker und von dessen Bedeutung für den Fortschritt überzeugt. Er selbst und seine Brüder fuhren verschiedene Modelle, einschließlich der Wolf mit eigenem Motoren in Trials oder Beschleunigungsrennen. Diese Wolf wurde von der Wearwell Cycle Co. Ltd. gebaut.

Anzeige von 1917
Anzeige von 1917

Eine dieser Maschinen erhielt durch die ACU einen Preis für eine überwachte 24- Stunden Dauerfahrt (für die damalige Zeit mit ihren Problemen, was das Material und den Straßenzustand angeht, eine enorme Leistung!).

Als durch die ACU die Tourist Trophy in Senior- und Junior-Rennen getrennt wurde, entschloss sich Jack an dem Rennen für kleinere Maschinen, also bis 300 cm³ teilzunehmen. Man wählte den Namen AJS, um sich von dem Namen „Stevens“, der als Synonym für Einbaumotoren galt, zu trennen.

Die Initialen steuerte Albert John (Jack) bei, da der Älteste als Einziger einen zweiten Vornamen besaß. Der seitengesteuerte Motor der Stevens war ein erfolgreiches Ding und auch in den ersten AJS–Maschinen zu sehen.

Mit 298 cm ³ (Bohrung 70 und Hub 77,5 mm) war er nur wenig größer als der Einbaumotor mit 292 cm³ (70 x 76 mm). Ein einfacher Rahmen in Form eines Diamanten mit einer Gabel, die mit den seitlich angebrachten Federn dem System der Firma Druid entsprach und Zweigang–Vorgelegegetriebe sowie Riemenantrieb für die TT–Modelle waren die weiteren Merkmale.

Das beide Maschinen durchkamen machte Jack sehr zufrieden und wäre er nicht durch Sturz und der damit verbundenen Reparatur an der Gabel zurückgeworfen worden, wäre er unter das erste halbe Dutzend gekommen. Aber es war, wie es war und AJS-Privatfahrer J.D. Corke erreichte Platz 15, während Jack hinter ihm landete. Aufgrund der Beanspruchung der Serienfertigung gab’s für die nächste TT keine Maschinen mehr. Mehr und mehr Kunden interessierten sich für die hübschen kleinen Leichtgewichte, bei denen der Riemen bald der Kette Platz machte.

1913 erschien AJS wieder bei der Junior-TT, vertreten durch W.M. Heaton, der Platz 10 schaffte und Cyril Williams, der aber ausfiel. Anscheinend war gegen die Twins der Konkurrenten kein Kraut gewachsen. Das Gewöhnliche triumphierte über die „andersartigen“ Modelle der ersten Jahre: Verschwunden waren die Maschinen mit Frontantrieb, Heckmotor und Rotationsmotoren, die mit den großen Problemen, wie der Zentrifugalkraft nicht zurecht kamen. Nicht mehr zu sehen war ein Modell mit dem Namen Eclipse (Finsternis) und eins mit der Bezeichnung X1 –A 11, bei dem jeder Zylinder des V-2 einzeln zu befeuern war.

Wenn AJS nur die Vorherrschaft der Twins brechen könnte. Seit der Eröffnung des Rennkurses auf der Isle of Man gewannen V-Twins drei, Paralleltwins zwei und Boxer ein Rennen. Zudem wurde jede schnellste Runde durch einen Zweizylinder erreicht.

Als das Hubraumlimit für die Junior-TT auf 350 cm³ erhöht wurde, führte AJS das Modell im Jahr 1914 ein. Es besaß einen 349 cm³ Motor, P+M Primärübertragung und zusätzlich ein 2-Gang-Vorgelegegetriebe mit insgesamt vier Gängen. Damit war wirklich ein kleines Meisterwerk gelungen. Bei der Suche nach Zuverlässigkeit entschloss man sich, Zylinder und Rippen aus einem Stück zu fertigen und auch der Kolben war aus dem Vollen hergestellt.

Monat für Monat mit umfangreichen Tests erbrachten schließlich eine optimale Form der Nockenwelle, der Ventile und des Ventiltriebs. Ziel war es, das Drehzahllimit von 5000 U/min gefahrlos zu erreichen.

Die 298 cm³ TT-Maschine von 1911 ging bis auf 2500 U/min, danach konnte mit dem Motor alles passieren (nur nichts Gutes). Das Rennen endete mit einem großen Triumph für AJS: Eric Williams gewann vor Cyril Williams (weder verwandt noch verschwägert) und weiteren AJS - Fahrern als Vierte und Sechste.

Eric Williams nach der Zielankunft
Eric Williams nach der Zielankunft

Fast über Nacht war die Nachfrage nach ihren Erzeugnissen so groß, dass die alte Schraubenfabrik dies nicht mehr schaffte und die neue Gesellschaft, A.J. Stevens (1914) Ltd. in neue Räume nach Graiseley House bei Wolverhampton zog.

Neben dem viel verlangten 2 3/4hp Modell erfreute sich auch das 6hp Twin-Modell einer steigenden Beliebtheit. Der Gespannfahrer Cyril Williams siegte auf der einzig gemeldeten AJS mit Leichtigkeit auch bei der Brooklands Junior–TT des Jahres.

Der bald folgende Weltkrieg zwang die Firma zur Einstellung der Motorradproduktion, nur Munition, hauptsächlich für Luftfahrzeuge durfte gefertigt werden. In gewissem Rahmen war auch während des Krieges die weitere Forschung möglich.

Als die Firma nach dem Ende der Feindseligkeiten wieder auf dem Markt erschien, waren die 23/4hp und 6hp Modelle gegenüber den Exemplaren von 1914-15 stark verbessert worden. Die Geschichte der phänomenalen kleinen 350er wird ein anderes Mal erzählt. Tatsache ist, dass die drei TT-Erfolge der Jahre 1920, 1921 und 1923 den Ruf von AJS unglaublich stärkten.

Jacks Idee 1911 bei der TT zu starten, zahlte sich wirklich aus: zuerst 1914 und dann bei den drei Nachkriegsrennen. Wenn es sich um leichte, sportliche Solomaschinen handelte; muss ganz einfach gesagt werden, dass AJS mit dem 1920er OHV–Modell das bisherige Erscheinungsbild vollkommen geändert hat. Die Form des Verbrennungsraums mit den im weiten Winkel angebrachten Ventilen und dem dadurch entstandenen halbkreisförmigen Verbrennungsraum war das Ergebnis einer Studie, die durch Peugeot mit ihren Vorkriegs-, von Henry geschaffenen OHC-Twinautomotoren vehement verteidigt worden ist.

1920 Cyril Williams
1920 Cyril Williams

Jedes Jahr expandierte das Unternehmen. Unzählige Weltrekorde wurden in Brooklands, Montgomery und Arpajon aufgestellt. Die „Big–Port“-Modelle gaben den Privatfahrer ein vorzügliches Gerät in die Hand, womit er jegliche Art von Beschleunigungsrennen bestreiten konnte, während sich die Straßenversionen als Qualitätsprodukte mit erstklassiger Leistung bewährt hatten.

Die Vorstellung der OHC–Modelle 1927 war ein weiter Höhepunkt der AJS-Geschichte. Kettenantrieb für die Ventile war eine ziemliche Neuerung in der Motorradwelt und hatte sich doch schon als zuverlässig erwiesen. 1930 gewann Jimmy Guthrie auf der Viertelliter-Version die Leichtgewicht–TT.

Doch die Zeiten für die Stevens-Brüder waren nicht nur rosig. Zu jener Zeit war die Firma eigentlich groß im Geschäftsleben. Neben den Motorrädern baute man eigene Seitenwagen und einen schönen 10 hp–Wagen. Zusätzlich stieg Harry ins Radiogeschäft ein und wandte sich dem Gebiet der Nutzfahrzeuge zu.

Die Folge dieser Kapitalverschwendung und infolge der allgemeinen Krise der Wirtschaft nach dem Wallstreet Krach von 1929 geriet auch AJS in Schwierigkeiten. Während die Arbeitslosenzahlen stiegen, fielen die Motorradverkaufszahlen, da die Leute kein Geld mehr zum Ausgeben hatten. Hohe Ausgaben und geringe Einnahmen brachten im Frühjahr 1931 die Firma in eine aussichtslose Lage: Den Gebrüder Stevens blieb keine andere Wahl mehr als der Konkurs. Es schien so, als würde der große Name „AJS“ vielen anderen, wie ABC, Bat, Beardmore, Humber, Werner, Wearwell und Zenith auf den Weg in die Vergessenheit folgen.

BSA machte einen Antrag zur Übernahme, der jedoch abgelehnt wurde (Gottseidank!). In die Bresche stiegen H. Collier and Sons, Hersteller der Matchless-Motorräder. Die Brüder Harry und Charlie übernahmen die gesamte Konkursmasse von AJS und zogen damit nach Plumstead, Woolwich ins schöne London um.

Für etwa ein Jahr stellten die Stevens eine 250er unter ihrem eigenen Namen her und setzten den Vertrieb des AJS-Wagens fort. Doch lebte diese Unternehmung nicht lang. Colliers führten auf dem schnellsten Wege ihre Rationalisierungspolitik ein, indem sie die AJS–Modelle weiter produzierten, die den Matchless–Modellen am ähnlichsten waren. Nichtsdestotrotz blieb auch das große Seitenwagenmodell im Programm. Trotzdem wollte die Geschäftsleitung auch das Eigenständige von AJS erhalten, z.B. indem man 1933 das OHC-Modell wieder vorstellte. Sie erkannten, dass der Name AJS mit der Geschichte der Rennerfolge es wert war, im Gedächtnis der Leute erhalten zu bleiben.

Mit der Vorstellung eines außergewöhnlichen Vierzylinders auf der Olympia-Show im Jahr 1935 schlugen die Colliers eine fortschrittlichere Politik ein. Zwar wurde sie niemals in Serie hergestellt, doch bildete sie die Basis für Rennmaschinen, die ein anderes Kapitel wert sind.

Später mehr davon...

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