AJS Serienmaschinen 1930 – 1939
Durch die in der Saison 1929 erreichten 117 Weltrekorde (!!!) fühlte sich A.J. Stevens and Co Ltd (1914) stark genug, ein äußerst umfangreiches Programm für das neue Jahrzehnt anzubieten. Einen großen Anteil an den Erfolgen der letztjährigen Rekordfahrten gebührte dem Brooklandsexperten Nigel Spring, der für die Vorbereitung und Bearbeitung und Bert Denly, einem der herausragenden Racer, der für das Fahren der Maschinen verantwortlich war. Mehrere der dadurch gewonnenen Erfahrungen, die zu dieser beispiellosen Flut von Rekordverbesserungen beigetragen haben, flossen in die Fertigung der Serienmaschinen ein.
Es herrschte nie mehr Geschäftigkeit in der Wolverhamptoner Fabrik als zu jenen Tagen. Mit dem Erscheinen der Modellreihe des Jahres 1930 mit der Bezeichnung „R“ ergaben sich einige Abweichungen von der bisherigen Praxis von AJS. Diese betrafen die vier neuen „Schrägen“, also die Slopermaschinen, je 2 350er und 500er. Die Masche mit den nach vorne gebeugten Motoren war wirklich nichts Neues, schon Jahre zuvor gabs so etwas zuerst bei P&M, dann bei anderen Firmen, wie Montgomery, Dunelt, Cotton und zuletzt bei BSA zu sehen. Besonders der große Erfolg von BSA regte die Stevens zu dieser Mode an. Zwei Jahre zuvor wurde AJS mit dem Festhalten an den alten Rahmenformen und langen Stecktanks vom Zeitgeschmack überrannt, doch diesmal waren sie mit einem Schlag auf Höhe des Trends.
Der neue Rahmen für die Sloper war von Art der Halb-Wiegenform mit zweifachen Unterzügen. Das obere Rahmen- und das Sattelrohr waren mit einem Durchmesser von 1¾“ in Dicke erheblich stärker als in früheren Jahren Der geneigte Motor ermöglichte es, den Magnet hinter Zylinder über dem Getriebe und neben der Batterie zu installieren. Durch Anbringen einer längeren Feder und leicht größeren Reibedämpfern erfuhr auch die Gabel eine Änderung. Der Ausleger des Lenkungsdämpfers führte nun unter den Steuerkopf. Größere Bremsen, wobei auch die Bremsankerstangen an beide Gabelholme geschraubt wurden und einen durch eine Scheide der Gabel geführten Bremszug vervollständigten die Neuerungen. Vollkommen neu gezeichnet war das Dreiganggetriebe mit geschlossenem Kickstartmechanismus. Die Schaltkulisse blieb an der rechten Seite des wunderschönen schwarz und goldlackierten Satteltanks.
Auch für die OHV-Motoren machten sich die Erfahrungen der Renn–und Rekordfahrten bemerkbar. Doppelreihige Rollenlager bildeten das Big-End und liefen in Käfigen aus
Duraluminium. Dazwischen sollte ein Ölfilm für Schmierung sorgen. Die Kurbelwelle war wälzgelagert, auf der Abtriebseite sogar in doppelter Ausführung. Der ganze Kurbeltrieb war bedeutend verstärkt worden, inklusive des vergrößerten Hubzapfens. Weitere Umgestaltungen betrafen den größeren Zylinderkopf und eine veränderte Gestaltung der Auslasskanäle. Die mit stählernen Auslegern versehenen Duraluminiumkipphebel waren vollkommen öldicht eingepackt: Die Kipphebel hatten durch beigefügte Federn keine Chance zum Lärmen.
Modisch wie es der Geschmack forderte, bliesen die Zylinderköpfe die Abgase durch zwei gut verchromte Rohre ins Freie. Auf ihrem Weg in die Freiheit kamen sie gegen Ende der Reise an zwei nach Brooklandsmanier und mit Fischschwanz versehenen Dämpfer vorbei. Neue Maschinen und Fertigungsmethoden sicherten in der Fabrik in Wolverhampton eine genaue Montage des Motors.
Bis auf die neuen horizontalen Rippen des Zylinderkopfes anstatt der traditionellen vertikalen unterschieden sich die kopf- und seitengesteuerten Motoren im Innern nicht voneinander. Andere Features betrafen den hinter einem eleganten Leichtmetalldeckel versteckten Ventiltrieb. Stand der Dinge war die an allen Modellen verwendete Trockensumpfschmierung.
Die Sloperserie umfasste Seitenventiler und Doppelport-OHV-Maschinen von 349 und 498 cm³. Nach unten abgerundet wurde die Reihe durch eine Doppelport-OHV von 250 Kubik, bei der sich um eine verkleinerte Ausgabe der größeren Modelle handelte. Dieses Motörchen und eine 350er Seitenventiler standen aber senkrecht in einem lediglich im Heckbereich verstärkten Rahmen von 1929. (Wahrscheinlich trauten die AJS-Mannen dem Geschmack der Zeit doch nicht so recht). Die obere Grenze des Programms bildete der Big-Twin mit 996 cm³, der auch von den Verbesserungen der anderen Modelle profitierte.
Von einigen wenigen Detailänderungen abgesehen, hatte sich bei den Sportexemplaren von 349 und 498 Kubik, die jetzt R7 und R 10 hießen, nichts verändert. Nur waren auch hier wie bei den anderen Produkten die klassischen Farben Schwarz und Gold zu sehen. Als Zugeständnis an die ewigen Chromputzer konnte dieser für einen Aufpreis von £1 einen gänzlich verchromten oder vernickelten Tank bestellen. Wenn man die damaligen Preise mit heutigen Augen sieht, kann man schon ins Straucheln geraten: Die kleine 250er kostete £40, der Big-Twin £63 plus £5 10s für eine komplette elektrische Lichtanlage.
Trotz der herrschenden Gerüchte, dass A.J. Stevens and Co Ltd (1914) in finanziellen Schwierigkeiten steckte, stellte das Unternehmen ein neues großartiges Programm für 1931 auf die Beine. Sensationell schlug dabei die Neuigkeit über einen querliegenden V-Twin ein. Der seitengesteuerte V-Zweizylinder mit einem Winkel von 50° und einem Hubraum von 498 cm³ hatte mit jeweils sieben Bolzen geschraubte Leichtmetallköpfe und Dimensionen von 55 x 75 mm, Bohrung/ Hub. Zwei außerhalb und zur Längsachse des Vs liegende Nockenwellen steuerten die Ventile. Die Ansaugkanäle ragten nach hinten, während der Motor nach vorne ausatmete. Eine kurze Welle, die mit flexiblen Hardy-Spicer Gelenken versehen war, übertrug die Kraft zum Vierganggetriebe und von dort via Kette zum Hinterrad. Der Antrieb werkelte in einem gänzlich neu gezeichneten netten Doppelrohrrahmen installiert.
Die Welt hatte in früheren Jahren bereits querliegende V-Motoren gesehen. Besonderes Aufsehen verursachte die Firma P&M, (Phelon & Moore - denke an Panther) die bereits 1927 mit ihrer von einem raffinierten 250er kopfgesteuerten Granville-Bradshaw befeuerten Panthette auf den Markt kam. Nur war dieses Werk nicht ausgereift und machte sehr viel Ärger. Die neue AJS war im Gegensatz dazu aber absolut ausgereift, hatte sie doch ein langwieriges Test- und Entwicklungsprogramm durchlaufen und wie man hört, fuhr sie sich wirklich gut und war leiser als der große Twin.
Im Jahr der Weltwirtschaftskrise von 1931 sah die Kundschaft vier Sloper Modelle, d.h. Seitenventiler von 350 und 500 cm³ und entsprechende OHV-Maschinen. Zur Verwirrung der Klientel gab’s aber auch eine seitengesteuerte aufrechte 350er, die Doppelport 250er OHV und die beiden Rennmodelle mit der oben liegenden Nockenwelle. Daneben standen die neue V-Zweizylinder und die vornehme große 996 cm³ Tourenmaschine in den Verkaufslisten.
Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass AJS 1931 in Liquidation ging. Trotzdem wurde im Frühjahr die Produktion fortgesetzt. Zwar versuchte BSA das Unternehmen unter Kontrolle zu bringen, aber zur Jahresmitte wurde klar, dass der ehemalige Konkurrent, die H. Collier and Son Ltd. die Firma mit dem gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögen übernahm. Damit gleichbedeutend war der Umzug von AJS nach Plumstead in den Südwesten von London. Erstmals in der Geschichte waren auf der Motorcycle Show keine Produkte unser Lieblingsfirma zu sehen, den die neuen Herren befürchteten größere Diskussionen, hatte doch die “feindliche Übernahme“ zu einer negativen Stimmung bei Kundschaft und Personal geführt.
Nach nur kurzer Produktionsdauer flog zuerst der quer stehende Twin aus dem Programm. Wenig später erlitten die Rennmodelle das gleiche Schicksal und tauchten nicht mehr in den Prospekten für 1932 auf. Hand legten die Konstrukteure erstmals an den großen Twin an, wobei der Anfang für diese Veränderungen schon zu Plumsteads Zeiten gelegt wurde. Das Hub-/ Bohrungsverhältnis wurde auf quadratische 85,5x 85,5 mm festgesetzt , rollengelagerte und käfiggeführte Pleuellager, Aluzylinderköpfe mit sieben Schrauben und den neuesten AMAL Vergaser waren die weiteren Verbesserungen. Umfangreich ging’s weiter mit einem neuen Wiegenrahmen, Erhöhung des Tankvolumens auf 3½ Gallonen und ein in den Grundzügen von Sturmey-Archer stammendes Vierganggetriebe. Trotz dieser Investitionen waren die Colliers der Ansicht, dass die Zeit der großen Seitenwagenmaschinen zu Ende war und sie durch Halblitermodelle und 600er „Big-Four“-Singles ersetzt werden würden.
Produktion und Vertrieb der Cammy-Modelle wurde schließlich 1933 wieder aufgenommen. Unterscheiden kann man die beiden Reihen dadurch, das der neue Zylinderkopf jetzt mit horizontalen Rippen (ab 1934) versehen war. Ein Jahr später kam wieder alles anderes, denn das gesamte Programm wurde überarbeitet. Der legendenumwehte Begriff „Big Port“ stand nun für die Maschinen mit den Singlemotoren von 250, 350 und 500 cm³, die gleichfalls den Aggregaten von Matchless immer näher kamen. Die erste „Big Port“ wurde im Verlaufe des Jahres 1932 als Modell 33 B8 angekündigt. Vervollständigt wurde das Ganze durch die Doppelportmodelle von 350 und 500 cm³ und einem Paar von gleichem Hubraum, aber als Seitenventiler. Ziemlich unbeeindruckt blieb davon das große 996er Zweizylindermodell. Ganz schick galten mit Sicherheit die neuen Bremstrommeln aus „Chromidium“. Unser alter Freund und Weggefährte, George Rowley benutzte die mit einem Burman-Getriebe ausgestattete 350er Big-Port erfolgreich in den damals hoch in der Gunst der Fans stehenden Geschicklichkeitswettbewerben.
Die OHC-Maschinen waren entweder als Renn- oder Trialversion zu erhalten. Die AJS-Verkäufer bezeichneten die letztere als „Trophy-Modell“, um sich an die Erfolge von Rowley in der 32er Six Days Trophy anzuhängen. Ironischerweise bevorzugte dieser aber lieber die kleinere OHV-Variante fürs Gelände. Deshalb ist es auch wahrscheinlich, dass nur wenige dieser Trophyexemplare gebaut und verkauft worden sind. Auf der Motorrad Show 1935 im Londoner Olympia Center platzte eine Bombe – die neue einzigartige Vierzylinder mit OHC-Steuerung wurde der Öffentlichkeit vorgestellt. Aber trotz des großen Interesses, das diese Maschine verursachte und des erstaunlich günstigen Preises wurde sie niemals serienmäßig produziert.
Das weiter oben beschriebene “Trophy-Modell“ wurde in aller Stille aus dem `35er Programm genommen, in dem nur die Renn-Cammies für den Sportsmann verblieben. Der Herrenfahrer musste nun auch Abschied von dem großen Zweizylinder nehmen, die nicht mehr erhältlich waren. Es klingt einfach unglaublich, aber die Bosse in Plumstead reagierten tatsächlich auf die Kritik der Kundschaft und legten ihr Hauptaugenmerk auf die Verringerung es Übergewichts der Kräder, woran sich der Volkszorn entzündet hatte. Ganze Arbeit verrichteten wirklich die Ingenieure, denn sie brachten durch Verwendung von Elektron und Leichtmetall z. B. die kopfgesteuerten Tourist Trophy 350er auf den höchste bemerkenswerten Wert von nur noch 118 kg (!!).
Weitere Erfahrungen bei den TT-Rennen flossen in den Bau der Rennerle ein: Ein enger abgestuftes Getriebe der Firma Burman mit neuer Fußbetätigung und zusätzlichen Federn an der Vorderradgabel, verbesserte Positionierung zur Erhöhung der Festigkeit und Zugänglichkeit des Magneten, Verwendung von Haarnadelventilfedern sowie größere Benzinbehälter waren die wichtigsten Verbesserungen. Diese Modifikationen kamen so gut an, dass es für 1936 keine Änderungen mehr gab und die Modellpalette unverändert blieb.
Während in Mitteleuropa die Zeichen langsam auf Sturm zeigten, kamen die Colliers zu der Überzeugung, dass man auch mit dem Verkauf von ziemlich identischen Replicas der 350er OHC TT-Modellen zu einem attraktiven Preis von £87 5s gut Kohle machen könnte. Dafür erstand der Kunde eine Maschine mit neuem Rahmen und modischem Megaphonauspuff. Dazu gab’s die Versicherung, dass jede Maschine vor der Auslieferung in Brooklands getestet worden war.
Obwohl schon auf der TT des Jahres 1938 eine “Cammy“ mit Schwingenrahmen gesichert worden war, blieb es für den Käufer von der Straße bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bei den bekannten Replicas. Die heute sehr bekannte Bezeichnung “7R“ tauchte zuerst 1938 auf. Zwar wurden die Exemplare 1930 von den alten AJS-Mannen schon R7, R10, R12 und R15 genannt, aber dies war einst ein Synonym fürs Baujahr, jetzt für den Typ. Von nun an hieß “R“ = Racing. Bei dem erwähnten TT-Rahmen handelte es sich um einen Schwingenrahmen, der durch angebrachte Federpakete die Unebenheiten der Strecke dämpfen sollte. Angedacht war, dass dieser Rahmen für den größten Teil der Serie verwendet werden sollte. Aber zuerst München und dann der Angriff auf Polen veränderten auch die Welt in Londoner Stadtviertel Plumstead. Dort wurden von nun an keine atemberaubenden Rennmaschine mehr, sondern brave, aber dennoch höchst beliebte Armee-Matchless und bis 1940 wenige Ajays für die Meldefahrer und Kuriere gebaut. Im Verlaufe dieses Krieges entwickelte man die “Teledraulic“ Vorderradgabel zur Serienreife und war mit dem Erfolg dermaßen zufrieden, dass sie auch nach dem Ende der Metzeleien die althergebrachten Girdergabeln von allen AJS und Matchless Maschinen ersetzen konnte.