AJS Serienmaschinen 1911 - 1919

Nachdem die Gebrüder Stevens den Motorenbau als gewinnbringenden Firmenzweig etabliert hatten, beschäftigten sie auch mehrere Jahre lang mit dem Gedanken, eigenverantwortliche Motorradkonstrukteure zu werden. Sie hatten bereits verschiedene Komponenten für andere Hersteller, einschließlich Rahmen produziert und Jack und Joe fuhren regelmäßig bei Trials und Beschleunigungsrennen mit verschiedenen mit Stevens-Motoren bestückten Maschinen mit.

1913 AJS 2 3/4 hp
1913 AJS 2 3/4 hp

Höchst erfolgreich in dieser Reihe der Einbaumotoren war das Seitenventilaggregat mit 292 cm³(70 x 76 mm), das in Modelle von Wearwell, Woolf, Clyno und andere eingebaut wurde. Im Laufe des Jahres 1910 entstand in den Werkshallen der Schraubenfirma ein Prototyp, dessen Leistung so ermutigend war, dass Jack Stevens beschloss, einige Maschinen der Vorserie beim schwierigsten Rennen der damaligen Zeit, der Junior-TT zu testen.

Als der Name der Stevens, der bislang als Motorenhersteller bekannt war, mit dem Namen eines Motorrad-Herstellers in Verbindung gebracht wurde, wählten die Bosse die Initialen „AJS“ aus, die zum ersten Mal in der Bewerberliste der Isle of Man Rennen 1911 auftauchten.
Durch eine geringfügige Erhöhung des Hubes von 76 auf 77,5 mm bei gleich bleibender Bohrung entstand auf der Basis des 292 cm³ Motors ein Aggregat mit 298 cm ³ Hubraum, das dem neuen Reglement der Junior-TT von höchstens 300 cm³ bei Einzylindermaschinen entsprach.

Lange Jahre geisterte durch die Fachwelt, dass es bei den Maschinen von Jack Stevens und seinem treuen Gefährten J.D. Corke um mit Ketten angetriebene Modelle handelte, tatsächlich werkelten aber ein einsamer Riemen samt dazu gehörigem Dreiganggetriebe, um die Power vom Motor zum Hinterrad zu bringen.

Ende des Jahres 1911 lief die Vermarktung der Rennerfolge an, die beiden ersten Exemplare trugen die amtlichen Registrierungen (Nummernschilder würde man heute sagen) DA 607 und DA 608.

In vielen Details unterschieden sie sich von den TT-Maschinen: Erstens die Hubraumerweiterung auf 348 cm³ durch Aufbohrung des Zylinders und Veränderung des Kurbeltriebs auf 74 x 81 mm. Es blieb zwar der Riemenantrieb im Verkaufskatalog, doch gibt es keinerlei Aufzeichnungen über irgendeine Serien-Ajay (wie man sie liebevoll auch nannte), die etwas anderes als einen durchgehenden Kettenantrieb hatte.

Dazwischen werkelte ein Zweiganggetriebe mit Vorgelegewelle oder als Wunsch eine Dreigangeinheit. Bei letzterer betrugen die Übersetzungsverhältnisse 12, 8 und 5 zu 1.

Die als 2¾ hp bezeichnete AJS war eine recht einfache Konstruktion, deshalb war es höchst bemerkenswert, dass Hinterrad, Kupplungsritzel, die Ketten und der Kickstartmechanismus gewechselt werden konnten, ohne dass weder vorderer noch hinterer Kettenkasten abgebaut werden mussten. Bei besagter Kupplung handelte es sich um eine Fünfplattenkonstruktion mit zwei mit Kork belegten Belagscheiben. Die Gemischversorgung übernahm ein Vergaser von AMAC, während der Magnet von UH stammte. Auf den schmalen Stahlfelgen liefen Reifen im Format von 26 x 2¼ Zoll. Das Gesamtgewicht betrug ca. 155 lbs = 78 kg. Dieses Fliegengewicht kostete unter Freunden £53 11s. Der lang gestreckte Tank wurde weiß mit einem schmalen blauen Streifen auf der Längsseite lackiert, der in der Mitte zur Aufnahme des neuen Emblems von AJS unterbrochen war. Hinten sollte eine Klotzbremse auf einem großen Profilrad und vorne eine Felgenbremse wie bei einem Fahrrad für Verzögerung sorgen. Mit dem einfachen Rohrrahmen in Diamantform herrschte zeitgemäße Technik bei AJS vor. Dazu gehörte auch der auf dem unteren Rahmenrohr aufliegende Stecktank mit dem integrierten, eine halbe Gallone fassenden Öltank, der das Verlustschmierungssystem mit Stoff versorgte. Einen „Sich-drauf-setzen-und-flehen“-Lenker (??) lieferte man serienmäßig, während Acethylenbeleuchtung genauso aufpreispflichtig, wie ein Tachometer samt Antrieb vom Vorderrad war. Der engagierte Sportfahrer wählte natürlich anstatt der „langsamen“ Fußbrettern die Version ohne hinteren Kettenschutz, Kickstarter und Fußrasten aus. Einen schicken TT-Lenker gab’s natürlich auch noch.

1912 sah die Welt auf der Londoner Motorcycle Show den ersten V-Zweizylinder, das 6hp Modell D. Die beiden befreundeten Zylinder standen sich in einem Winkel von 50° gegenüber, mit dem bekannten Verhältnis von 74 x 81 mm ergab sich ein Inhalt von 698 cm³. Das Dreiganggetriebe mit Vorgelegewelle lieferte die Übersetzungsverhältnisse 12,25, 7,5 und 4,75 zu 1. Voll gekapselte Ketten, Reifen im neuen Format von 650 x 75 mm, der einzelne Vergaser von AMAC und der Magnet von UH waren die weiteren Features.

Gleich mit der Einzylindermaschine war die Lackierung, unterschiedlich die Ausstattung mit Seitenwagenanschlüssen, was gleichzeitig ein Hinweis auf die primär vorgesehene Verwendung sein sollte. In Soloform mussten £72 9s auf den Ladentisch hin geblättert werden. Als sich die Motorcycle Show des Jahres 1913 näherte, hörten die Stevensbrüder, dass etliche Kunden Schwierigkeiten mit den Zylinderkopfdichtungen hatten: In den überwiegenden Fällen handelte es sich um die Schwierigkeit, neue Kopfdichtungen zu besorgen, denn damals musste der gute Fahrer häufig den Zylinderkopf zum Einschleifen und Entkohlen der Ventile abnehmen. Clever wie die Leute damals waren, gab’s für 1914 einfach keine abnehmbaren Zylinderköpfe mehr, als Ausgleich dafür aber das 2¾ hp Modell B mit gleich großen Ventilen wie die der großen Twins. Eine Änderung erfuhr gleichfalls das Hub-/ Bohrungsverhältnis zu jetzt 70 x 91 mm. Von 1914 bis 1916 besaßen alle Tourenmodelle vollkommen geschlossene Kettenkästen.

Während die Fahrer der großen Zweizylinder hinten nun in den Genuss einer Innenbackenbremse kamen, durften sich die anderen noch mit der kindischen Felgenkranzbremse vergnügen. Das Modell D erschien zur 1913er Show mit einem hübschen, in alter Kutschenbaumanier aufgebauten Seitenwagen in der schönsten Farbe, nämlich Schwarz mit Gold. Dazu gehörten auch extra-breite Kotflügel.

1915 sahen die Maschinen durch den neuen Rahmen, mit dem oberen, leicht nach unten verlaufenden geraden Rohr und der durch zwei längs liegende Federn verstärkten Springergabel nur leicht verändert aus. Für das Modell D wurde die Räder austauschbar. Für schnelle Knaben stand ab sofort eine TT Sport Special Version des Modell B zur Verfügung. Zum Tuningkit gehörten ein erleichterter Kolben, „schnelleres“ Pleuel, drei Sätze von Ritzel und eine nur noch teilweise abgedeckte Kette zum Hinterrad. Jack rechnete damit, dass diese Maschine ohne weiteres Tuning ihre 65 mph erreichen musste. Bis 1916 blieben die nicht abnehmbaren Zylinderköpfe bei den Serienmaschinen im Programm.

1915 AJS Mod. D1
1915 AJS Mod. D1

Ein Jahr früher bereits ergänzte das 4hp „Mehrzweck“-Modell A mit den Motordimensionen 65 x 85 mm = 550 cm³ das Modell D, dessen Hubraum auf 748 cm³ ( 74 x 87 mm) erhöht worden war. Die Gemischaufbereitung und Zündung übernahmen ein AMAC-Vergaser und ein Splitdorf EV Magnet. Die Übersetzungsstufen betrugen 16, 7.5 und 4.75:1 beim großen und 15, 9, und 5.75:1 beim kleinen Twin. Beide Motoren waren gleitgelagert. Von Motorgröße und Getriebe abgesehen, waren beide Maschinen identisch.

Die beiden Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren für die Zweiradindustrie von großer Bedeutung.

1912 entwickelte die John Marston Ltd., ein Schössling der Sunbeam-Fabrik einen OHV-Motor, der in Fahrgestelle der Firma SUN eingebaut wurde, die wiederum nichts mit den Marstons zu tun hatte. Der Motor wurde nach der Straße in der sich die Fabrik befand, Villiers benannt, wobei dieser Name von einem bekannten Staatsmann aus der viktorianischen Zeit stammte. Die ersten serienmäßig hergestellten Sunbeam, die sich schnell einen Ruf für ausgezeichnete Qualität und Leistungsfähigkeit erwarben, erschienen auf dem Markt mit einem einprägsamen grünsilbernen Tank.

1915 AJS Mod. D
1915 AJS Mod. D

Eine andere Konstruktion von Scott mit einem wassergekühlten, Zweizylinderzweitaktmotor gewann unter den zarten Händen von Frank Applebee 1912 die Halbliter-TT. Eine Firma namens Swan erschien zur gleichen Zeit auf dem Markt mit einem Motorrad, das ein mittels Schwinghebeln gefedertes Fahrwerk und einen futuristischen Vierzylinder-Sternmotor aufwies. Die Gebrüder Burney etablierten sich als Hersteller von Einbaumotoren und verwandten einen 499 cm³ Motor mit außen liegender, übergroßer Schwungscheibe, gewöhnlich ein Merkmal von Boxern und Reihenvierzylindern. Dieser Konstruktion zugrunde lag ein Rennmotor aus dem Jahre 1910 von der Firma DeHavilland.

Die alteingesessene Firma Humber stellte andererseits ein tolles Ding vor, welches genauso erfinderisch wie erfolglos war: Handelte es sich dabei um ein Gefährt mit insgesamt drei Zylindern und der kuriosen Anordnung eines 370 cm³ Einzylindermotors vorne und zweier 185 cm³ Exemplare hinten, die wegen einer zweiteiligen Kurbelwelle getrennt waren.

Die Gebrüder Stevens studierten diese und andere Neuerungen sehr sorgfältig, kamen aber zu dem Schluss, dass die Zukunft von AJS in mehr orthodoxeren Konstruktionen lag. Nach ihrer Ansicht sollten leichte Einzylinder die Arbeit des Solofahrers erleichtern, während die großen Twins als Arbeitstiere zur Bewegung der Gespanne gedacht waren. Zweifelsohne spielte da ein gewisser Einfluss mit, den die hervorragenden Konstruktionen von Sunbeam gemacht hatten.

Dies zeigte sich auch in ihren Serienmaschinen, die aussahen, als versuchte die Stevens–Familie das außergewöhnliche Erscheinungsbild der Produkte aus dem Hause Marston zu kopieren. Man zögert zwar nicht einen Augenblick den großen, strahlenden Twins der Zwanziger und Dreißiger Jahren von George Brough die Bezeichnung „die Rolls-Royce“ der Motorräder zu verleihen, doch mit Gewissheit wäre dies auch zu den Maschinen von John Marston zu sagen. Die späten „Sonnenstrahlen“ mit ihren schwarzgoldenen Tanks stellten die besten Beispiele der hohen Kunst der Einbrennlackierung da, deren wunderbare Qualität sich auch auf den matt lackierten Teilen zeigte. Dies und die Methode, den übrigen Teilen aus Aluminium und den vernickelten, verkupferten Auspuffrohren dieses hoch glänzende Aussehen zu geben, ist weder früher und noch später übertroffen worden.

Ab 1914 sprach es sich herum, dass die Maschinen von AJS eine Qualität von weitaus teureren Konkurrenzprodukten vorweisen konnten, und dies ist bis zum heutigen Tag so geblieben (!!!!).

AJS führte die Produktion der beiden Modelle bis zum Frühjahr 1916 fort, als die Kapazitäten der neuen Graiseley House Fabrik für die Fertigung von Präzisionsteilen für die Luftfahrtindustrie benötigt wurden. Allerdings kamen die Stevens an einen anderen großen Kuchen nicht heran, denn Verträge zum Bau von Maschinen für das Militär waren an die Firmen Triumph, BSA, Clyno, Royal Enfield, P & M und Douglas gegangen.

Der Historiker James Sheldon hat in seinem exzellenten Buch „Vintage and Veteran Motorcycles“ berichtet, wie Sunbeam einen Auftrag zur Lieferung von 50 Maschinen an die Alliierten einholen konnte. Der alte John Marston bekam fast einen Herzanfall, als er bemerkte, dass in diesem Auftrag von Riemenantrieb die Rede war. Zum großen Missfallen von Old John mussten alle 50 Maschinen im Werk von Kette auf den ungeliebten Riemen umgebaut werden. Falls also jemand mal eine 3½ hp Sunbeam mit Riemenantrieb finden sollte, hat er eine ausgesprochene Rarität vor sich.

Während des Krieges hatten Jack Stevens und seine Brüder vielfach Gelegenheit, die Fortschritte in der Bearbeitung von Leichtmetall zu verfolgen. Zudem kamen sie mit den Konstrukteuren und Entwicklungsingenieuren von Flugmotoren zusammen, die ganz klar festgestellt hatten, dass der größte Wirkungsgrad in Bezug auf die Ventilsteuerung durch eine kopfgesteuerte Variante zu erzielen sei. Schon zu Beginn des Krieges kam der alte Papa Norton zum gleichen Ergebnis und stellte einen jungen Ingenieur mit dem Namen Gilbert Smith ein, der an einem solchen Motor arbeiten sollte, bis die Auswirkungen der kontinentalen Auseinandersetzungen dies zunichte machte.

1915 AJS Mod. D
1915 AJS Mod. D

Im ersten Friedensjahr stellten die Stevens auf der Motorcycle Show lediglich das 6hp Modell vor. Der Hubraum betrug nun 748 cm³ (74 x 84 mm Hub/Bohrung) mit neuen abnehmbaren Zylinderköpfen und auswechselbaren Rädern, die ohne Demontage der Radachsen ausgetauscht werden konnten. Das Reifenformat betrug 700 x 80 mm, auf Wunsch konnte sich der Käufer für elektrisches Licht und einem luxuriösen Seitenwagen mit Glaswindschutzscheibe entscheiden. Beim alljährlichen Wechsel des Zünders fiel dieses Jahr die Wahl auf ein Produkt der Firma TB, während das Getriebe wie gewohnt mit drei Gängen aufwarten konnte. Natürlich gab’s auch wieder Kettenantrieb auf Primär- wie Sekundärseite. Eine stärkere Gabel mit doppelter zentraler Feder rundete das Bild ab. Einige wenige Maschinen verließen die Werkshallen mit dem 74 x 81 mm (698 cm³) Motor, bei dem wahrscheinlich Pleuel, Kolben und Zylinderköpfe der Versionen von 1913 Pate standen.

Das Finish der Produkte aus Wolverhampton war nun allein Schwarz mit goldenen Zierlinien. Zum Preis von 47 Guineas war das Einzylindermodell 2¾ hp erhältlich, nur stand zwischen dem Kauf und den ersten Kilometern noch eine lange, lange Warteliste. Bis auf den Magnet von TB zeigte es sich gegenüber der Version des Jahres 1915 fast unverändert. Gebrauchte Vorkriegsmaschinen erzielten unglaubliche Preise, die beinahe das doppelte des Neupreises betrugen. Der ersparte Wehrsold der zurückgekehrten Soldaten wurde zum Kauf von irgendetwas Fahrbarem herausgeschleudert und dies führte zweifelsohne zum Boom der Radwagen, von denen die wenigsten „besser-als-wackelig“ bezeichnet werden durften.

George Poultney hatte den Schwungmagnetzünder für Villiers entwickelt, der seit 1914 bei fast allen kleineren Zweitaktern Verwendung fand. Zu Beginn der Zwanziger belieferte man etwa 300 Manufakturen damit und geriet dadurch zwangsläufig in den Sog der plötzlich eintretenden, aber kurzlebigen Mode der Motorroller.

In der zweiten Hälfte des Jahres 1919 führten die Stevens ein umfangreiches Entwicklungs- und Testprogramm eines OHV-Motors durch. Dazu steckten sie dieses Aggregat in einen 2¾ hp Rahmen und schraubten die Kennzeichen DA 4150 dran. Dieser Prototyp bildete den Grundstein einer langen Reihe von erfolgreichen OHV-Ajays, über die an anderer Stelle zu berichten ist.

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